TIME TO SAY GOODBYE: AEROSMITH VERLASSEN DIE BÜHNE

TIME TO SAY GOODBYE: AEROSMITH VERLASSEN DIE BÜHNEAber vorher wird es noch einmal richtig laut. Nach fast 50 Jahren im Rock-Business gehen die US-Rocker noch einmal auf große Tour, danach soll Schluss sein. Unvergessen bleibt vor allem die Rock-HipHop Kooperationen zwischen Aerosmith und Run-D.M.C., die sich als genreprägend erweisen sollte! 1986 nahmen sie den Klassiker “Walk This Way” neu auf. In den 90er folgten die Mega-Hits “Cryin’”, “Crazy” und “I Don’t Want to Miss a Thing”. Wir werfen einen Blick zurück auf die bewegte Geschichte der Bad Boys from Boston.

Text: Philipp Gosselck

Eat the Rich – Es geschah in einem Imbiss…

Über viereinhalb Jahrzehnte lang schrieben Steven Tyler und Joe Perry zusammen Songs, gingen auf Tour und hielten es bis auf einen kurzen Ausstieg von Perry relativ gut miteinander aus.

Aber wie hat es eigentlich angefangen?
Mit den besten Pommes der Welt.

Joe jobbte in einem kleinen Laden namens Anchorage als Koch, als er von Steven an den Tisch geholt wurde, der dort aß. Diesem hatten die Pommes Frites dermaßen gut geschmeckt, dass er dem Koch persönlich dafür danken wollte. Damit war der Weg geebnet.

Schon kurze Zeit später brachten die beiden ihre jeweiligen Bands zusammen und begannen im Proberaum am ersten Kapitel der Bandgeschichte zu schreiben. Sie beschlossen, ihre neu gegründete Band lieber doch nicht The Jack Denials, the Hookers oder Spike Jones zu nennen, sondern Aerosmith. Der Name ist ein Fantasiewort, dass Drummer Joey Kramer beim Hören von Harry Nilssons Album Aerial Ballet eingefallen ist.

Joe Perry und Steven Tyler 47 Jahre Rock’n’Roll – Train Kept A-Rollin’

Der bluesbasierte Hard-Rock der Band fand schnell Freunde auf den Bühnen zwischen New York und Massachusetts und schnell hatten die „Bad Boys from Boston“ ihr erstes, selbstbetiteltes Album draußen.

Es sollten nicht weniger als 14 weitere Studioalben folgen, ergänzt durch zahlreiche Live-Mitschnitte, Compilations und unzählige Bootlegs und Faneditionen. Gold-, Platin- und sogar Diamondauszeichungen sowie eine Ehrung in der Rock’n’Roll Hall of Fame krönten die Karriere der Band, die sich in all den Jahren kaum in ihrem Line-Up veränderte.

Die 80er Jahre waren eine bewegte Zeit für Aerosmith. Joe Perry verließ die Band im Streit für mehrere Jahre, Steven Tyler musste ins Rehab und zunächst blieben ihnen auch die früheren Erfolge verwehrt. Erst als Joe zurück in die Band geholt wurde und man gemeinsam Drogen gegen Grüntee tauschte, ging es wieder bergauf. Es folgte eine kreative Hochphase mit hohen Chartplatzierungen und gigantischen Welttourneen.

Die 90er Jahre waren die kommerziell erfolgreichste Zeit für Aerosmith. Endlich clean und persönlich gereift, stiegen Aerosmith endgültig in den Rock-Olymp auf.

Alben wie Get a Grip und Nine Lives wurden zu vielfach platinveredelten Megasellern und die damals entstandenen Musikvideos mit Stevens Tochter Liv Tyler und Alicia Silverstone gehören bis heute zum Pflichtkanon der Rockmusikvideos und verschlangen stattliche Hollywood-Budgets.

1998 schließlich der erste (und einzige) weltweite Nummer-eins-Hit der Band – der Titelsong zum Blockbuster Armageddon, I don’t want to miss a thing, der interessanter Weise nie auf einem regulären Album erschienen ist.

TIME TO SAY GOODBYE: AEROSMITH VERLASSEN DIE BÜHNESweet Emotion – süßer die Klampfen nie klingen!

Wer keine Lust hat, sich durch alle Alben der Band durchzuarbeiten, dem sei die Doppel-CD The Essential Aerosmith wärmstens empfohlen. Die Platte ist ein Rückblick auf die ersten zehn Jahre, die ersten sieben Alben und zehn außergewöhnlich gute Songs.

“Dream On” ist schlicht eine der besten Rockballaden aller Zeiten. Der Song ist in der Liste der 500 besten Rocksongs, in der Rock’n’Roll Hall of Fame Liste und fehlt auf keiner Classic Rock Compilation. Einen zweiten Frühling erfuhr das Lied, als Eminem es für sein bahnbrechendes The Eminem Show-Album unter dem Namen Sing for the Moment adaptierte.

Mit “Same old Song and Dance”, “Sweet Emotion” und “Back in the Saddle” treten deutlich die Wurzeln der Band zutage, die tief im amerikanischen Blues zu finden sind. Die Mischung aus klassischen Blueslicks, verbunden mit einem höheren Tempo und leichter Distortion sind ein Markenzeichen von Aerosmith und haben spätere Gitarrengötter wie beispielsweise den Guns’n’Roses-Chefklampfer Slash beeinflusst.

“Walk this Way” gehört zu den Songs, die vermutlich kaum einer Erklärung bedürfen. Zunächst vom Publikum eher verkannt, erlangte das Stück weltweite Bekanntheit, als es 1986 von den Hip-Hop-Pionieren Run-D.M.C. zusammen mit Aerosmith als einer der ersten Crossover-Songs überhaupt aufgenommen wurde. Und auch das Original von 1975 ist unglaublich funky und tanzbar, das Riff ein gnadenlos guter Ohrwurm.

Fly away from here – noch einmal richtig laut!

Und doch soll nun langsam Schluss sein, so heißt es. Alle Bandmitglieder haben die 60 schon eine Weile hinter sich gelassen und der Abschied vom aktiven Rockstar-Leben scheint näher zu rücken. Die große Aero Vederci Baby-Tour bringt die Jungs noch einmal in die Metropolen dieser Welt, bevor dann Golfcaddy und Hochseeangeln den Tourbus und die After Show Party ersetzen könnten.

Dass die Live-Qualitäten von Aerosmith über die Jahre keineswegs gelitten haben, zeigt der Konzertmitschnitt YOU GOTTA MOVE, der 2004 produziert wurde.

Die Setlist bietet einen munteren Ritt durch die vielen Jahrzehnte der Bandgeschichte. Zwischen den Tracks kommen die Musiker zu Wort und erzählen die ein oder andere noch nicht gehörte Anekdote zu den Songs, ihrer Entstehung und dem wilden Leben auf Tour.

Aerosmith You Gotta Move DVDWer hätte zum Beispiel gedacht, dass Steven in jungen Jahren für seine „sticky fingers“ bekannt war? Schon zu Schulzeiten ließ er den E-Bass der Musik-AG mitgehen, den er bis heute besitzt. Am Ende des Songs “Livin’ on the Edge” (in der Studioversion) kann man ihn sogar kurz hören.

Noch bevor die Band ihr erstes Album herausbrachte, „fiel“ ihm dann der Inhalt eines ominösen Koffers in die Hände, der zwielichtigen Gestalten gehörte. Das von den Gangstern gestohlene Geld investierte die Band in ihr erstes RMI Keyboard, auf dem ihr Riesenhit Dream On eingespielt wurde. Seitdem ist der „suitcase incident“ ein elementarer Bestandteil der an Legenden und Mythen nicht armen Bandhistorie.

Was heißt schon Abschied? Dream On, Aerosmith!

Den Anfang vom Ende bildete im letzten November ein reichlich skurriles Video auf dem YouTube-Kanal der Band. Steven und Joe moderieren eine schrullige Nachrichtensendung, in der sie die letzte große Aerosmith-Tour ankündigen.

Wer genau hinhört, merkt, dass sie sich möglicherweise ein kleines Hintertürchen offenlassen! Als Steven Joe fragt, ob die Aero Vederci Baby Tour etwa das letzte „Hooray“ der Band bedeute, antwortet dieser nur mit einem lakonischen „Oh, who the hell knows.“

Schon einige Rocker sind dem Rentnerdasein wieder entflohen, denn nichts ist so schön, wie das Leben für den Rock’n’Roll. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Arrivederci, Aerosmith. Auf Wiedersehen!