Depeche Mode: Zeitreise mit “Video Singles Collection”

Depeche Mode Tour 2016Nicht nur musikalisch, auch optisch brauchten Depeche Mode einige Zeit, bis sie ihren Stil fanden. Das neue 3-DVD-Set VIDEO SINGLES COLLECTION bietet eine Zeitreise, die von den Anfängen im Jahr 1981 bis zum bislang letzten Album DELTA MACHINE führt. Dank informativer Audio-Kommentare von Dave Gahan, Martin Gore und Andrew Fletcher kommen dabei auch einige Details ans Tageslicht, die selbst eingefleischte Fans noch nicht kennen dürften.

Text: Chris Hauke

Bis zu “Get The Balance Right” (1983) waren die Videos von Depeche Mode bestenfalls naiv, doch gerade das macht aus heutiger Sicht den Charme der Anfangsjahre aus – auch wenn sie der Band früher so peinlich waren, dass sie bei Compilations gerne mal unter den Tisch fielen. Etwa “See You” von “A Broken Frame”, das in einer Woolworth-Filiale gedreht wurde. Martin Gore klärt auf:

“See You” (1982)

“Als wir das fertige Video sahen, wussten wir, dass wir uns damit keinen Gefallen getan haben. Aber ganz ehrlich: Auch mit unseren Klamotten haben wir uns damals keinen Gefallen getan, ebenso so wenig mit unserer Musik. Wir können [Regisseur] Julien Temple also nicht die ganze Schuld geben.” In einer Szene sieht man auf einem Foto Alan Wilder, der damals noch nicht offiziell in der Band war. Warum? “Alan sollte langsam eingeführt werden, das Konzept war auch gut. Uns wäre das nie eingefallen”, erläutert Martin Gore, um lachend nachzuschieben: “Dafür hat er später die Hauptrolle in ‘Get The Balance Right’ bekommen. Der Regisseur wusste nicht, wer der Sänger war, und traute sich auch nicht zu fragen. Und wir waren schlicht zu blöd, um ihn drauf hinzuweisen.”

Spätestens mit BLACK CELEBRATION hatten Depeche Mode ihren Weg gefunden, auch die Videos begannen der Band zu gefallen. Dave Gahan erinnert sich an einen Clip, der unmittelbar vor dem Beginn einer neuen Ära entstand.

“Stripped” (1986)

“Berlin, kurz vor Mauerfall. Wir fühlten uns wie “Wir gegen die Welt” und haben unser Ding gemacht. Spaß war das Drehen dennoch nicht. Es war stets kalt, dunkel oder verschneit, dazu haben wir immer in irgendwelchen beschissenen Lagerhallen gedreht. Feines Handwerk stand damals noch nicht auf dem Programm.”

Martin Gore ergänzt: “Wir haben beim Hansa-Studio an der Mauer gefilmt. Es fühlte sich ein bisschen gefährlich an, so etwas so nah am Osten zu tun – laute Musik, grelles Licht. Man wusste ja damals nicht, was passieren konnte. Kurz danach haben wir dort gespielt und waren ziemlich erfolgreich.” Lachend fügt er hinzu: “Vielleicht durch die Mund-zu-Mund-Propaganda von ein paar Grenzwachen. Es war jedenfalls das erste Video, das ich wirklich mochte.”

Bald darauf übernahm Anton Corbijn die Regie. Eines seiner besten und außergewöhnlichsten Werke für Depeche Mode war ein Video, das sich eng an die Arbeiten des niederländischen Renaissance-Malers Hieronymus Bosch anlehnt.

Depeche Mode Video Singles Collection“Walking In My Shoes” (1993)

Martin Gore: “Ich liebe dieses Video. Anton hat uns seine Ideen immer nur roh vorgestellt. Wir bekamen kein fertiges Script, aber wir wussten von dieser Hieronymus-Bosch-Idee. Doch bis du am Set ankommst und die Leute in ihren Kostümen siehst, kannst du dir nicht ausmalen, wie das aussehen könnte. Aber bei Anton war uns das egal, denn wir haben ihm vertraut. Vor dieser Phase haben wir niemandem getraut. Und das aus gutem Grund.”

Mit Corbijn bekamen Depeche Mode ein künstlerisches Konzept, das die Band auf ein neues Level hob. Dazu noch einmal Martin: “BLACK CELEBRATION war ein Wendepunkt für uns. Ohne dieses Album hätte Anton vielleicht nie begonnen mit uns zu arbeiten – und wir müssten uns jetzt einen endlosen Strom beschissener Videos anschauen.”

Nach Corbijn arbeitete die Band mit zahlreichen weiteren Regisseuren, deren Ideen die Band manches Mal besonders beeindruckten. “Wrong” ist ein solcher Fall.

“Wrong” (2009)

Dave Gahan: “‘Wrong’ war die erste Auskopplung aus SOUNDS OF THE UNIVERSE. Ich wollte damals, dass wir im Video nicht zu sehen sind und die Leute sich überlegen, welche Band das ist – auch wenn es sich natürlich nach uns anhört. Das Konzept von [Regisseur] Patrick Daughters fand ich extrem stark. Du kannst nicht aufhören auf diesen Typen zu schauen. Was zur Hölle passiert dort? Was für eine grandiose Idee für den Song. Es war anders als sonst, und das brauchten wir. Der Gedanke war, wieder ein Element von Mysterium einzubringen. Am Ende gab es wie gewöhnlich eine große Diskussion mit Fletch. Er konnte nicht verstehen, warum wir nicht im Video sein wollten. Also sind wir doch in einer Einstellung zu sehen – aber das wäre nicht nötig gewesen.”

Depeche Mode Cover Video Singles CollectionDiese und 51 weitere Videos verteilen sich chronologisch auf drei DVDs, dazu kommen vier Alternativ-Versionen (drei rare Videos von “People are People”, “But Not Tonight” und “Soothe My Soul” sowie eine bislang unveröffentlichte Version von “Stripped”) sowie zwei Stunden mit Audio-Kommentaren von Dave Gahan, Martin Gore und Andy Fletcher, von denen die obigen Zitate stammen.  Die Box ist ab 18. November 2016 erhältlich.

Alle Tourdaten 2016: Depeche Mode: Global Spirit Tour
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