Ende der 1970er steht die Musikwelt vor einem Wandel: Mit der Punkbewegung sind nicht nur zahlreiche Bands, sondern auch Konventionen, Strukturen, Instrumente fortgeschwappt worden. Die Zukunft heißt New Wave. Ihre Geschichte ist kurios, ihre Auswirkungen sind in voller Länge nachzuhören auf „The Long Versions: Pop & Wave“.
Text: Chris Hauke
Der Begriff „New Wave“ ist damals nicht so neu wie ihr Sound: Punkbands und ihnen folgende Musiker von den Talking Heads bis Elvis Costello wurden bereits mit diesem Genre tituliert. In Deutschland setzt man New Wave häufig mit Synthie-Pop gleich, und der ist in den frühen 80ern das ganz große Ding. Schon sein erster Welterfolg enthält alle Facetten dieses Genres und prägt sowohl den Sound als auch den Look eines ganzen Jahrzehnts: „Fade To Grey“.
Boy George an der Garderobe, Duran Duran an der Bar
London, 1978: Im Billy’s, einem Club in Soho, trifft Sänger, Gitarrist und Komponist Midge Ure auf den 19-jährigen Clubbetreiber Steve Strange. Beide eint ihre Vorliebe für David Bowie und Roxy Music, Ure ist dazu ein großer Fan der Elektropioniere Kraftwerk. Die zwei wollen ihren Vorbildern nacheifern und gründen die Band Visage. Am Schlagzeug sitzt mit Rusty Egan der DJ des Clubs. Ein Jahr später verlegt der exzentrische Strange sein Etablissement nach Covent Garden und tauft es in „Blitz“ um. Dort verkehren bald jede Menge angehende Berühmtheiten: Boy George, der kurz darauf Culture Club gründen wird, arbeitet an der Garderobe, unter den regelmäßigen Besuchern sind Mitglieder von Spandau Ballet und Duran Duran. Im Blitz wird auch eine neue Szene geboren: die New Romantics, Paradiesvögel, die sich aufwändig und extravagant kleiden und damit einen Look kreieren, der bald weltbekannt werden wird. Steve Strange wird ihr Leithammel. Man nennt ihn passenderweise auch „Peacock Prince“, den Prinzen der Pfauen. Selbst das große Vorbild David Bowie wird auf Strange aufmerksam und castet ihn und sein Gefolge für das Video seines Hits „Ashes To Ashes“. Der Durchbruch steht bevor.
Visage wird geboren
Ure und Strange nennen ihre Band nach dem französischen Wort für Gesicht, in der zweiten Bedeutung steht der Name Visage als Abkürzung für Visual Age, das Zeitalter der Visualität. Mit Billy Currie von Ultravox, einer Band, mit der Midge Ure wenig später ebenfalls erfolgreich sein wird, kommt ein Keyboarder hinzu, der den neuen Sound mitprägt. Was jetzt noch fehlt, ist das passende Equipment und das nötige Geld dafür. Dafür geht Midge Ure Mitte 1979 mit seinem Kumpel Phil Lynott und dessen Band Thin Lizzy auf Tour, Billy Currie schließt sich der Liveband des New-Wave-Vordenkers Gary Numan an. Gemeinsam mit seinem Mit-Keyboarder Chris Payne spielt er bei den Soundchecks immer wieder eine Keyboard-Sequenz, die bald zu Weltruhm kommen wird: Das Stück nennt er vorerst „Toot City“.
Eine Keyboard-Melodie schießt in die Zukunft
Kurz darauf sind Visage im Studio und basteln an ihrem Album. Als die Aufnahmen fast fertig sind und nur noch ein Song fehlt, wirft Currie „Toot City“ in die Runde. Midge Ure ist hin und weg und verzieht sich mit dem Demo in seine Wohnung. Dort entstehen in kürzester Zeit sowohl ein düsterer Text als auch die passende Melodie dazu. Bei den Aufnahmen will der Song aber nicht so recht zünden, bis Ure die entscheidende Idee kommt: Er lässt Brigitte Arens, die belgische Freundin des Schlagzeugers Rusy Egan, den Text des Songs zusätzlich auf französisch einsprechen und kombiniert beide Sequenzen. Der am Anfang des Stücks zu hörende Satz heißt übrigens „devenir en gris“ und bedeutet nichts anderes als „Fade To Grey“.
„Fade To Grey“ startet den Tsunami
Ende 1980 veröffentlicht, wird der Song in ganz Europa ein Riesenhit und bringt die New Romantic-Bewegung in den Mainstream – auch dank des Videos von Godley & Creme, in dem Steve Strange passend zum Bandnamen stark bemalt wird. Midge Ure geht sogar noch weiter und sieht in „Fade To Grey“ nicht weniger als den Startschuss für die europäische Dance Music überhaupt. Ob zu Recht oder leicht übertrieben – der Song hat zahlreiche Dance Acts und Produzenten inspiriert und ein Jahrzehnt von Pop & Wave geprägt.
Einen spannenden Überblick über die Auswirkungen der New Wave auf den Pop der 80er auf 3 CDs bietet „The Long Versions: Pop & Wave“. Mit 36 lange Pralinen und Maxis von Visage, Duran Duran, Kajagoogoo, Frankie Goes To Hollywood, Propaganda oder auch raren Wave-Klassikern von Blancmange, Romeo Void, Icehouse und Fiction Factory.
- Erhältlich bei:
CD 1
1. Visage: Fade To Grey – Extended Version
2. Romeo Void: A Girl In Trouble (Is A Temporary Thing) – Dance Mix
3. Icehouse: No Promises – Maxi Version
4. Japan: All Tommorows Parties – 1983 Remix
5. Dead Or Alive: What I Want
6. Altered Images: I Could Be Happy – Martin Rushent Remix
7. Blancmange: Blind Vision – 12“ Version
8. Face To Face: 10-9-8 – Dance Mix
9. A Flock Of Seagulls: The More You Live, The More You Love – Extended Version
10. The Danse Society: Say It Again – 12” Mix
11. Daryl Hall & John Oates: Adult Education
12. Time Bandits: Live It Up – Album Version
CD 2
1. Kajagoogoo: Too Shy – Extended 12” Version
2. Haircut 100: Favourite Shirts (Boy Meets Girl) – 12” Version
3. Fiction Factory: All Or Nothing – Extended Version
4. Deacon Blue: Real Gone Kid
5. The Blow Monkeys: It Doesn’t Have To Be This Way – Long Version
6. Freur: Doot Doot – Extended Version
7. Wax: Right Between The Eyes
8. The Lotus Eaters: The First Picture Of You – 12” Version
9. Thompson Twins: King For A Day – Us Remix
10. Prefab Sprout: Desire As
11. Spandau Ballet: True – 2003 Remastered Version
12. King: Alone Without You – Scorcher Mix
CD 3
1. Duran Duran: The Wild Boys – Extended Version
2. Boom Boom Room: Here Comes The Man – 12” Version
3. Propaganda: P:Machinery – The Beta Wraparound
4. Paul Young: I’m Gonna Tear Your Playhouse Down – Extended Mix
5. Wham: Wham Rap! (Enjoy What You Do?)
6. Cock Robin: Just Around The Corner – Extended Remix
7. Spandau Ballet: Through The Barricades – Extended Version
8. My Mine: Hypnotic Tango – Instrumental Version
9. Frankie Goes To Hollywood: Two Tribes – Carnage Mix
10. After The Fire: Der Kommissar – 12“ Version
11. Falco: Der Kommissar – Extended Version
- Erhältlich bei: